Religiöse Vergemeinschaftung

Religiöse Individualisierung und Vergemeinschaftung – Eine empirische Untersuchung im Kontext kirchlicher Bildungshäuser

Das Forschungsprojekt geht – gestützt auf entsprechende Beobachtungen aus der Religionssoziologie – von der Annahme aus, dass sich Prozesse der religiösen Individualisierung nicht zuletzt im Kontext kirchlicher Bildungshäuser manifestieren. Denn die relativ offene, eher netzwerkartig angelegte Sozialstruktur von Bildungshäusern sowie ihr inhaltliches Angebot, nämlich auf individuelle Präferenzen und Interessen abgestimmte Bildungsprozesse, scheinen einer durch Individualisierung und religiöse Selbstbestimmung geprägten Mentalität entgegenzukommen. Zugleich zeigt die bleibend institutionelle und soziale Struktur von (religiösen) Bildungseinrichtungen aber auch, dass (religiöse) Individualisierungsprozesse auf institutionelle Rahmungen und Re-Vergemeinschaftungen der „freigesetzten“ Individuen angewiesen bleiben. Diesen Tatbestand einer gewissermaßen dialektischen Individualisierung, die auch ihre Gegenbewegung der Vergemeinschaftung – freilich unter individualisierten Bedingungen – hervorbringt, hat die gegenwärtige Sozialwissenschaft etwa auf das differenzierte Konzept der „posttraditionalen Gemeinschaft“ (R. Hitzler u.a.) gebracht. Insofern erscheinen kirchliche Bildungshäuser als ein paradigmatisches Feld, in dem sich religiöse Individualisierung und posttraditionale Vergemeinschaftung beobachten lassen.

Betrachtet man diese Entwicklungen von systematisch-theologischer Seite aus, fällt eine gewisse Kongruenz der skizzierten Individualisierung und posttraditionalen Vergemeinschaftung mit dem vom II. Vatikanischen Konzil propagierten Leitbild von Kirche als „Communio“ auf. Denn beiden Sozialkonzepten ist eine gewisse Balance von Individualität und Gemeinschaftsorientierung, die eben nicht kontradiktorisch, sondern komplementär verstanden werden, zu Eigen. Insofern könnten Prozesse religiöser Individualisierung und Re-Vergemeinschaftung auch aus Sicht einer theologischen Ekklesiologie, die beim II. Vatikanischen Konzil lehramtlich approbiert wurde, positiv gewertet werden. Damit besteht – gegen den ersten Anschein, Individualisierung richte sich zwangsläufig gegen das institutionell-theologische Selbstverständnis von Kirche – die Möglichkeit, den skizzierten sozialen Wandel theologisch, pastoral und institutionell produktiv aufzugreifen und zu gestalten. 

Im Rahmen des Forschungsprojektes wird in einem überschaubaren Untersuchungsfeld eine empirische Erhebung durchgeführt (Bildungshäuser in kirchlicher Trägerschaft in Oberösterreich), deren Ergebnisse im Licht sozialwissenschaftlicher, pädagogischer und theologischer Perspektiven gedeutet werden.

Durchführung:
Prof. Dr. Ansgar Kreutzer (Justus-Liebig-Universität Gießen)
HS-Prof. PD. Dr. Johannes Reitinger (Private Pädagogische Hochschule der Diözese Linz)

Finanzielle Unterstützung:
Pastoralamt der Diözese Linz

Laufzeit:
2017-2019

Zwischenbericht Kreutzer & Reitinger (September 2019)