"Demokratie ist ein Lernprozess"
BildungLinz – 4. Dezember 2024
Im Rahmen der PHDL-Veranstaltungsreihe Interdisziplinärer Diskurs wurde am 4. Dezember 2024 beim Impulsvortrag von DDr. Severin Renoldner (Professor für Ethik, Moraltheologie und Politische Bildung) die komplexe Frage diskutiert: Wie kann Demokratie in einer zunehmend globalisierten Welt wachsen und sich weiterentwickeln?
Der Vortrag des ehemaligen Abgeordneten im Österreichischen Nationalrat (1991-1996) bot Meta-Einblicke in ethisch-politische Dilemmata, die nicht nur das Verständnis von Demokratie, sondern auch ihre Zukunft betreffen.
Demokratie: Nicht nur Mehrheitsentscheidungen
Für den 65-Jährigen Theologen besteht Demokratie nicht nur aus Mehrheitsentscheidungen, sondern erfordert den Schutz von Grundrechten und Minderheiten. "Alle Menschen, die in einem Land leben, sollten gleiche Rechte haben, unabhängig von Herkunft, Sprache oder Staatsbürgerschaft." Dauerhaft in einem Land lebende Menschen sollten demokratisch mitbestimmen können.
An historischen Beispielen könne gezeigt werden, dass Mehrheitswahlen in Diktaturen führen können, wenn Grundrechte nicht geschützt sind. Nur durch Menschlichkeit, den Respekt für das Gemeinwohl (womit Mehrheitsentscheidungen auch begrenzt werden könnten) und der Sicherung der Gewaltenteilung bleibe eine Demokratie gleichermaßen stabil wie legitim.
Demokratie im Spannungsfeld von Nationalstaat und Globalisierung
Nach Renoldner könne das gegenwärtige "Wutbürgertum" nicht alleine durch Einzelereignisse – wie sie etwa in der Corona-Krise sichtbar wurden – erklärt werden. Vielmehr müsse die tieferliegende Steuerungslosigkeit in einer global vernetzten Welt betrachtet werden. Eine seiner zentralen Thesen ist, dass die Demokratie, wie wir sie kennen, stark von der nationalstaatlichen Prägung abhängig ist, während eine transnationale Zusammenarbeit oft an ihre Grenzen stößt.
Bildung als Schlüssel zur Demokratiekompetenz
Ob Demokratien auch ohne Katastrophen wachsen können: das sei die entscheidende Frage. Nur durch ausführliche Diskussionen, Lernprozesse und die Einschränkung von Willkür-Mehrheiten könne ihre Qualität gesichert und weiterentwickelt werden. Schließlich müsse sich Demokratie den Herausforderungen der globalen und regionalen Pluralität stellen (z.B. 193 UNO-Mitgliedsstaaten oder mehr als 1.300 politischen Parteien in Österreich).
Wie das gelingen könnte? Wahlen würden keine Demokratie garantieren. Eine zentrale Rolle würden Lehrer:innen in der Vermittlung demokratischer Werte und der Fähigkeit einnehmen, global denken zu können. Die Vorbereitung von Lehrkräften auf politische Bildung sei essenziell, um Schüler:innen dazu zu befähigen, in einer pluralistischen Welt konstruktiv und respektvoll zu handeln.
Offener Diskurs und "Verfassungspatriotismus"
Bei der anschließenden Diskussionsrunde wurde die Frage nach der aktuellen Offenheit von Demokratie gestellt: „Diskurs bedeutet, nicht die Wahrheit für sich zu beanspruchen“, hieß etwa ein Kommentar aus dem Publikum. Renoldner griff in diesem Zusammenhang die Forderung nach einem "Verfassungspatriotismus" auf, damit demokratische Werte eben nicht subtil durch populistische Kräfte ausgehöhlt werden können.
Ebenfalls kritisch diskutiert wurde die angerissene "Ächtung von Meinungen", weil sie ein machtpolitisches Instrument der Gleichschaltung bildet. Auch einseitige Vorverurteilungen bei abweichenden Meinungen zu gesellschaftlichen Reizthemen könnten erst recht den demokratischen Zusammenhalt gefährden, so eine Sorge unter den Anwesenden.
Renoldner betonte in dieser Hinsicht, dass Hass, Hetze, Rassismus und Diskriminierung per se antidemokratisch seien: rechtlich und moralisch unzulässige Aussagen würden die Demokratie gefährden. Deshalb müsse sich Meinungsfreiheit innerhalb der festgelegten Prinzipien bewegen, um fairen Dialog und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.
Demokratie als Lernprozess
Die 1,5-stündige Veranstaltung am Salesianumweg 3 machte deutlich, dass Demokratie kein statisches System ist, sondern ein Prozess des ständigen Lernens wiederspiegelt. Sie erfordert nicht nur politische Mechanismen, sondern auch die gesellschaftliche Bereitschaft, Vielfalt auszuhalten.
Die nächste Veranstaltung Interdisziplinärer Diskurs widmet sich dem Thema „Interreligiosität an Hochschulen" und findet mit Bettina Brandstetter, Thomas Schlager-Weidinger und Amin Elfeshawi am Montag, den 13. Jänner 2025 von 17:30 bis 19:00 im Raum AH 01 an der PHDL statt.