Gerald Hüther in Puchberg

Bildung

Lernen beginnt mit Beziehung

Hirnforscher DDr. Gerald Hüther mit PHDL-Vizerektorin Dr. Gabriele Zehetner und PHDL-Institutsleiterin (Fortbildung) Mag. Christine Mitterweissacher in Puchberg bei Wels

Puchberg – 6. Oktober 2025

Wie gelingt es, Kinder in ihrer angeborenen Freude am Lernen zu bestärken, anstatt sie durch Anpassungsdruck zu hemmen? Diese Frage stellte der Neurobiologe Dr. Gerald Hüther bei seinem tiefgründigen Fachvortrag zur Potentialentfaltung am 3. Oktober im Bildungshaus Schloss Puchberg

Der Vortrag war Teil des Bildungskongresses, das von der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz (PHDL) in Kooperation mit dem Bildungshaus als Fortbildung für Pädagog:innen angeboten wurde. 

Neben Dr. Gabriele Zehetner (PHDL-Vizerektorin) und Mag. Christine Mitterweissacher (Institutsleiterin Fortbildung) ließ sich auch Österreichs erfolgreichster Olympiasportler der Geschichte Felix Gottwald unter den 300 Gästen den Vortrag, der auf einer Metaebene des Verstehens und der Selbstreflexion stattfand, nicht entgehen.

Vom Objekt zum Subjekt: Kinder ernst nehmen

"Ich hasse nichts mehr auf dieser Welt als angepasste Leute", findet Hüther deutliche Worte. Eine solche Erziehung, so Hüther, mache Kinder zu Objekten fremder Erwartungen – mit langfristigen Folgen für Motivation und Selbstvertrauen. "Wir brauchen eigensinnige Leute”, plädiert Hüther – gegen Konformität und „Normopathie“ und für Kinder, die ihre individuellen Stärken leben dürfen.

Hüther machte deutlich, dass Kinder mit einer natürlichen Lernlust und Gestaltungskraft zur Welt kommen – diese müsse nicht geweckt, sondern vor allem vor dem Verschwinden bewahrt werden. Wenn Kinder ständig belehrt, bewertet oder in enge Strukturen gepresst werden, lernen sie, ihre Neugier zu unterdrücken, um „passen“ zu müssen. 

Liebe im pädagogischen Sinn

Die Hirnforschung der letzten Jahrzehnte zeigt laut Hüther deutlich: Lernen gelingt nur dort, wo Kinder sich verbunden und zugleich frei zur Entfaltung fühlen. Bewertungen, Belehrungen oder Druck verletzen diese seelischen Grundbedürfnisse und blockieren neuronale Lernprozesse. Statt Kontrolle brauche es Einladung, Ermutigung und echtes Interesse an der Entfaltung des anderen – Hüther nennt das die „höchste Form der Begegnung“, die Liebe im pädagogischen Sinn.

Selbstliebe als Grundlage jeder Begegnung

Hüther richtete den Blick auf die Pädagog:innen selbst: Nur wer sich selbst mag, kann anderen mit Offenheit begegnen und Kinder wirklich in ihrer Entwicklung begleiten. Viele Erwachsene knüpfen ihren eigenen Selbstwert an Leistung oder Anerkennung und verlieren dadurch den Kontakt zu ihrem inneren Antrieb. Hüther ermutigte dazu, sich der eigenen Haltungen bewusst zu werden – als Voraussetzung für jene Haltung, die Kinder wachsen lässt.

Veränderung beginnt von innen

Der 74-jährige Neurobiologe erinnerte schließlich daran, dass echte Veränderung nur von innen heraus entstehen kann: Menschen lassen sich nicht ändern, aber sie können eingeladen werden, neue Erfahrungen zu machen. So wie sich auch im Gehirn eingefahrene „Autobahnen“ durch neue Erfahrungen wieder auflösen lassen, können auch pädagogische Haltungen wachsen – wenn sie aus echter Begegnung entstehen.

Fortbildung mit Tiefgang

Unter demselben Leitgedanken Bildung als Begegnung auf Augenhöhe zu gestalten bot das Institut Fortbildung der PHDL auch weitere spannende Veranstaltungen am 3. und 4. Oktober im Schloss Puchberg an:

GESAMTPROGRAMM

10 Zitate aus dem Vortrag von DDr. Gerald Hüther

"Liebe ist das bedingungslose Interesse an der Entfaltung des Geliebten." Die wohl wichtigste Definition von Liebe und Beziehung aus neurobiologischer Sicht.

"Jeden Pädagogen, jedes Elternteil, jeden Vorgesetzten müsste man fragen, ob die sich überhaupt selbst mögen." Eine Aufforderung, die eigene Haltung zu reflektieren: wer sich selbst nicht mag, kann auch keine echte Beziehung zu einem/einer Lernenden aufbauen.

"Mit Belohnung und Bestrafung mache ich Kinder zum Objekt. Das ist kein Lernprozess: eine Abrichtungs- und Dressurleistung ist das. Oft ist das auch ein Zeichen von Bedürftigkeit, weil man eigentlich aufgehört hat, sich selbst zu mögen." Eine energiesparende Methode des Gehirns zur Verhaltensformung, die die angeborenen Grundbedürfnisse des Kindes nach Autonomie und Verbundenheit verletzt und es zum passiven Objekt degradiert.

"Wenn man ein Kind wie ein Objekt behandelt, ist es aus. Das ist das Schlimmste, was Sie ihm antun können." Zur Verletzung der menschlichen Würde und Grundbedürfnisse.

“Wenn du an der Entfaltung dieses Kindes interessiert bist, musst du bei der Begleitung alles tun, was du tun kannst, damit es sich in allen möglichen Lebenssituationen zurechtfindet. Mit anderen Worten, du musst ihm so viele Probleme machen, wie du kannst, aber bitte nur solche, die es lösen kann.” Eine Forderung, die auf Autonomie und Kompetenzgewinn abzielt.

“Die Einmalgefunden-Lösung ist wie ein Gefängnis.” Hüther beschreibt die Gefahr, in alten, starren Verhaltensmustern oder "Macken" stecken zu bleiben.

“Das Hirn ist zufrieden. Das möchte nichts anderes als Ruhe in der Birne.” Zum neurobiologischen Grundprinzip: der Vermeidung von Chaos/Inkohärenz durch die Suche nach Energiesparlösungen (Weg des geringsten Widerstands).

"Was das Hirn sich merkt, ist nicht das ursprüngliche Problem. Es merkt sich nur die Lösung." Erklärt, warum sich ungünstige Verhaltensweisen im Gehirn verfestigen.

"Ich kann jeden einladen, in jedem Menschen nach etwas zu suchen, was ich mögen kann." Der Schlüssel zur Wiederherstellung von Verbundenheit und Beziehungskultur.

“Man wollte Anerkennung, man wollte dazugehören, man wollte nicht auffallen, man wollte Ruhe in der Birne haben und da hat man immer zu allem ‘Ja’ gesagt. Ich möchte euch alle ermutigen, aus dieser Nummer wieder rauszukommen.” Normopathie (Hans-Joachim Maaz) bezeichnet die krankhafte Anpassung an vorherrschende Normen und Erwartungen - nach Gerald Hüther eine gefährliche “Verwicklung”.