ChatGPT: Chance zur Entfaltung

Bildung

Wie das revolutionäre Online-Tool die Relevanz des Lehramts steigern kann.

ChatGPT gibt sogar selbstreflexive Antworten

Schaurig und faszinierend: wer „Chat GPT“ zum ersten Mal verwendet, manövriert sich in eine ambivalente Gefühlswelt. Seine Fähigkeit, in Sekundenschnelle schriftliche Inhalte zu beliebigen Themen präzise zu generieren, wird nicht nur den Journalismus als demokratische Vertrauensinstanz auf die Probe stellen. Wenn zwischen Simuliertem und Realem nicht mehr unterschieden werden kann, steht das Bildungssystem vor einer Revolution.

Sprache schafft Wirklichkeit – das Wort schafft Realitäten. Wenn nun Sprache das Grundlegende ist, was Schüler:innen überhaupt zum Lernen und Leben befähigt, ist es im Kontrast zur Schulung die Pflicht der Bildung, das Kommende vorzubereiten um das Lebendige beizubehalten. Es macht deshalb wenig Sinn, hier die Dialektik eines naiven Technikoptimismus oder die Nostalgie eines untechnischen Menschen zu bemühen. Bei "Chat GPT" reden wir von einem Fortschritt, der ein exponentielles Wachstum verzeichnet und nicht rückgängig gemacht werden kann. Gerade weil dieses Werkzeug unter dem Diktat der Nützlichkeit und Verwertbarkeit gleichwohl für Schüler:innen und Studierende als auch für Lehrkräfte steht, sollten Mensch und Technik nicht getrennt voneinander, sondern gemeinsam und wechselwirkend gedacht werden.

Anwendung von "Chat GPT" im Bildungssystem

Dr. Barbara Zuliani, Professorin an der Privaten Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz und Vorsitzende im wissenschaftlichen Beirat für Innovationsforschung des Bildungsministeriums, sieht in dem technischen Dispositiv Chancen und Herausforderungen zugleich: „Für Studierende und Lehrkräfte kann es Handlungsanweisungen geben, Denkprozesse strukturieren und Texte in vorgegebenem Stil erstellen – und das besonders schnell.“ Ohne eigene Zielsetzung nütze es aber wenig: „Wenn ich nicht weiß, wohin ich will oder ganz detailliert frage, kann es eine Falle sein. Da bin ich als Mensch gefordert.“ Mit Chat GPT werden auch Plagiate faktisch und juristisch an Bedeutung verlieren, weil das Programm schriftliche Arbeiten vollständig strukturieren und generieren kann.

Für Dr. Zuliani wird das bei der Leistungsbeurteilung eine Herausforderung: „Wenn das Zustandekommen der Arbeit nicht klar ersichtlich ist, müsste man ergänzende Formate wie mündliche Prüfungen, Prozessportfolios oder eine engere und ressourcenintensive Betreuung überlegen, um die Eigenleistung prüfen zu können.“ Ein Schwachpunkt des Programms: „Menschen schreiben kurze, lange, kreative Sätze. "Chat GPT" generiert eher gleichmäßig lange Schachtelsätze. Kennt man den persönlichen Schreibstil seiner Studierenden, lässt sich das vielleicht noch unterscheiden, nicht aber bei unpersönlichen Betreuungsverhältnissen.“ Zusätzlich neigt der Chatbot dazu, Dinge zu erfinden, wenn er nicht mehr weiterweiß. Dann werden Worte nicht bloß nebeneinander, sondern Fallen gestellt: Fake News können unbewusst generiert werden.

„Chat GPT wird die Lehrkraft nicht ersetzen können“

Triviale Vorschläge von „Chat GPT“ zur Verbesserung der eigenen Rechtsschreibung – etwa, „mehr zu üben“ – kann die Relevanz des Lehramts in einer automatisierten Lernwelt steigern: „Bildung ist immer Menschenbildung. Ein Kind muss als Ganzes wahrgenommen werden, um Zusammenhänge erkennen zu können. Es braucht gezielte Lösungsoptionen sowie personalisierte Lernmaterialien. Chat GPT fehlt dieser Persönlichkeitsbezug und es wird niemals echte Empathie empfinden. Umso wichtiger werden Schlüsselgebiete wie die Fachdidaktik, die Fort- und Weiterbildung von qualifizierten Lehrkräften sowie kritisches und analytisches Denken in der Medienbildung“, so die Preisträgerin des „Teacher of the Year“-Awards 2015.

Menschsein als Ziel von digitaler Bildung

Transhumanistische Konstruktionen wie „Chat GPT“ provozieren im Bildungsbereich geradezu die Frage nach dem Wissen über das Wesen dieses Werkzeugs, mit dem man sich weniger erarbeiten und verirren muss, um an sein Ergebnis zu gelangen und kognitive Leistungen verlagert werden. Eine große Verführung, die eigenständiges Denken verobjektiviert und tief in die selektive Wahrnehmung eingreift, den Menschen entweder zum Nutzenden oder Vernutzten machen kann. Ob diese Technik dem Menschen zuträglich sein kann, liegt an unserer Auseinandersetzung damit. Darin liegt auch die Chance, anfänglich zu denken.

Das kann mit der inneren Stimme des freien Menschen gelingen: etwa mit Kontemplation, Kunst und Kreativität. Hier wird das Bildungssystem gefordert sein, einen Vorbereitungsweg zu gehen, um zum Selbstdenken aufzufordern. Wenn Menschsein auch das Ziel von digitaler Bildung ist und Schüler:innen oder Studierende als Personen in den Mittelpunkt stellt, kann "Chat GPT" durchaus eine Technik der Entlastung, zur Potentialentfaltung werden, während sich der Mensch dem Intellektuellen, Sinnvolleren hingeben kann, dem, was er in seiner Eigentlichkeit sein will, um ein glückliches Leben zu führen. Dann hätten wir ein menschliches Surplus.

 


 

Presseanfragen für Stellungnahmen:

Dr. Mihael Djukic (Kommunikationsstelle der PHDL)

Prof. Dr. Barbara Zuliani (Institut Medienbildung der PHDL)