Exklusiv-Interview mit Unirektor in Rom
BildungRom – 13. August 2024
Inspiriert von seinen ehemaligen Lehrer:innen am Adalbert Stifter-Gymnasium entschied sich Dr. Bernhard Eckerstorfer nach der Matura für das Lehramtstudium und unterrichtete später am Stift Kremsmünster Geografie, Religion und Italienisch. Seit fünf Jahren ist der 53-jährige Priester und Mönch Universitätsrektor an der Sant'Anselmo Benediktiner-Universität in Rom. Die PHDL wollte in einem Exklusiv-Interview vom Linzer wissen, welchen Stellenwert Bildung einnimmt, was er zum Lehrer:innen-Mangel sagt und worauf es im Lehrberuf ankommt. Nach einem gemeinsamen Mittagessen unter Mönchen mit Spargel-Pasta und Salat nahm sich Dr. Pater Bernhard Eckerstorfer in seinem Rektorenzimmer ausreichend Zeit für uns.
PHDL: Es gibt viele Bildungswege, aber nicht alle führen nach Rom. Als ehemaliger Gymnasiallehrer in Oberösterreich sind Sie nun Rektor einer Benediktiner-Hochschule in der „Ewigen Stadt“. Ziel erreicht?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: (schmunzelt) Ich hatte nie das Gefühl, jetzt Karriere gemacht zu haben. Das wäre auch nicht die richtige Kategorie – gerade als Mönch. Mein Ziel war immer, dort, wo ich gefragt werde, das zu tun, was sinnvoll und möglich ist. Da gibt es kein 'höher' und 'tiefer'. Für mich geht es um die Tätigkeit, dass man den Menschen gerecht wird. An der Sant’Anselmo-Universität in Rom war ich seit 2017 im Wissenschaftsrat. Zwei Jahre später hat mich der Abtprimas für das Amt des Rektors vorgeschlagen und die Professoren haben dem zugestimmt. Erst jetzt habe ich aber das Gefühl, hier angekommen zu sein, weil ja unmittelbar nach meiner Bestellung als Rektor die Corona-Krise ausbrach und sich alles verzögerte. Seit Jänner 2024 begann hier an der Sant'Anselmo-Universität mit 680 Studierenden aus 70 Ländern meine neue Amtsperiode als Rektor. Meine Heimat bleibt trotzdem Oberösterreich und das Stift Kremsmünster.
PHDL: Fehlt Ihnen Oberösterreich?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Was mir fehlt sind die vertrauten Menschen: Familie, Freunde oder Mitbrüder. Aber was ich an Oberösterreich schätze sind die Landschaft und das abwechslungsreiche Wetter mit Schnee. Ich gehe auch gerne Bergsteigen oder in unseren Seen schwimmen. Und das Essen aus der Heimat liebe ich.
PHDL: Das Essen? Das ist ja aus Italien ein ordentliches Kompliment an unsere heimische Küche.
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Ich habe das italienische Essen auch sehr gerne. Aber mir schmecken die Nachspeisen aus meiner Heimat sehr, die sind nicht ganz so cremig wie in Italien. Und ich vermisse Suppen: etwa Frittaten- oder Grießknödelsuppen. Was ich an der Heimat noch sehr schätze sind die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit. In dieser mediterranen Kultur sind die Menschen dafür ganz besonders warmherzig und auch nachsichtiger gegenüber Fehlern.
PHDL: Papst Franziskus hat Sie vor kurzem zu einem seiner Berater für Gottesdienste und Sakramente ernannt. Wie geht es Ihnen damit?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Also den Papst habe ich persönlich nie beraten, aber ich bin von ihm zu einem der internationalen Berater des Dikasteriums für Gottesdienst und Sakramentenordnung ernannt worden – wenn man so will ist das eine Art weltweite Behörde, wo die Weiterentwicklung der Liturgie diskutiert wird. Vor kurzem nahm ich im Februar als Berater an einer Vollversammlung mit ca. 50 Kardinälen und Bischöfen aus der ganzen Welt teil. Das ist schon spannend wenn man die Weltkirche erlebt. Papst Franziskus ist es ja ein Anliegen, dass die liturgische Bildung nicht einfach vorbeizieht und verloren geht. Da beschäftigen wir uns mit unterschiedlichen Fragestellungen, auch zur Symbolik: verstehen wir überhaupt was wir tun, wenn wir uns als Kinder zum ersten Mal bekreuzigen? Wie formt uns diese Symbolik, was bewirkt sie und wie wird das erschlossen?
PHDL: Sprechen Sie bei diesen Gelegenheiten auch mit dem Papst?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Ja. Danach hatten wir eine Audienz beim Papst gehabt und er bekam einen Bericht. Persönlich sehe ich den Papst ein paar Mal im Jahr, da wechseln wir ein paar Wörter. Beeindruckend ist an ihm, dass er manchen vielleicht müde erscheinen mag wenn er zuhört, aber sobald er einen Menschen einzeln trifft, vergisst er alles rundherum und sieht nur diesen einen Menschen. Ich glaube, davon kann man sich ganz viel mitnehmen.
PHDL: Kirche und Schulen stehen derzeit vor einer gemeinsamen Herausforderung: Personalmangel im Nachwuchs. Wenn Sie den Blick in Ihr Heimatland Oberösterreich richten, wie betrachten Sie als Benediktiner den Lehrer:innen-Mangel?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Das ist traurig. Die wertvollsten Erfahrungen während meiner Schulzeit machte ich mit meinem Religionslehrer. Einmal ist er montags sichtlich müde ins Klassenzimmer gekommen. Am Vorabend gab es nämlich einen tödlichen Unfall auf der Autobahn und weil er beim Roten Kreuz engagiert war, bat ihn die Polizei mitzukommen, um diese schreckliche Botschaft der frisch verwitweten Ehefrau mit ihren drei Kindern mitzuteilen. Daraufhin blieb er die ganze Nacht bei der Familie. An ihm sah man: dieser Lehrer praktiziert auch was er lehrt. Das hat mich dazu gebracht, ebenfalls Lehrer zu werden. Eine Gesellschaft muss sich entscheiden, ob ihr Bildung wichtig ist. Für mich ist Bildung zentral. Wenn das Lehrer:innen ansprechend vermitteln und auch selbst leben, dann werden nicht alle jungen Menschen vom Lehrberuf ergriffen, aber viele.
PHDL: Was ist denn das Schöne am Lehrberuf?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Junge Menschen zu unterrichten ist ein Geschenk. Diese Unbefangenheit, diese Direktheit. Sie fordern einen manchmal heraus, aber sind gleichzeitig sehr auf Beziehung aus, auf direkten Kontakt. Sie gehen mit, sind neugierig, sie machen Kommentare, die nur Kinder und Jugendliche machen (lächelt). Es gibt keinen schöneren Beruf, jungen Menschen zum Leben zu verhelfen. Dass mit der Schulzeit Wissen und Fertigkeiten verbunden sind, ist klar, aber es ist auch eine Lebensschule. Eine Lehrperson zu sein bereichert das eigene Leben, das müsste man mehr vermitteln. Leider wird heutzutage öffentlich viel zu sehr problematisiert: egal ob in der Kirche, Politik oder Schule. Ich kann aus den Erfahrungen hier in Rom sagen, dass in Österreich wesentich mehr im Schulsystem funktioniert als in Italien. Wenn im Schulwesen viel darüber geredet wird, was alles nicht geht, kommt man in eine Abwärtsspirale.
PHDL: Sind wir also in Österreich vielleicht zu sehr mit verwaltungsorientierten Strukturen beschäftigt?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Bestimmt sind wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt. Es gibt natürlich keine Rezepte, das sind immer Prozesse. Aber ich glaube in der Wirtschaft redet man mehr von 'best practices' als in der Schule und Kirche. Beide nimmt man in der Öffentlichkeit viel zu häufig über Problemfelder wie Reformen wahr. Stattdessen könnte man durchaus Leistungen und positive Beispiele stärker vermitteln. Für die Schule heißt das: junge Menschen ins Zentrum zu stellen. In meiner Rolle als Universitätsrektor habe ich es auch nicht immer leicht: zu mir kommen hauptsächlich Probleme und Befindlichkeiten oder man muss sich mit Personen beschäftigen, die vielleicht regressiv agieren. Umso wesentlicher ist es, mehr Zeit in Visionen und Missionen zu investieren: wo entstehen Aufbrüche, wann starten neue Programme. Um mit Papst Franziskus zu schließen: es braucht eine Kirche, die nicht nur Nabelschau betreibt. Ähnliches könnte für das Schulwesen oder für pädagogische Hochschulen zutreffen.
PHDL: Die hohen Anmeldezahlen zum Lehramt-Studium an der Pädagogischen Hochschule der Diözese Linz spenden aktuell große Hoffnung. Was sollte eine gute Lehrerin bzw. ein guter Lehrer aus Ihrer Sicht vermitteln können?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Das freut mich natürlich sehr. Meine Erfahrung ist, Lehrer:innen vermitteln Haltungen. Und junge Menschen verlangen Haltungen, dass jemand für etwas steht. Wenn das nicht mehr angeboten wird, besteht die Gefahr, dass sie sich extremen Gruppen zuwenden. Junge Menschen wollen andere nachahmen. Lehrer:innen sind Vorbilder. Wenn Lehrer:innen bloß wüssten, was junge Menschen von ihnen mitnehmen und auch übernehmen, wären sie sehr erstaunt. Junge Leute merken, ob jemand wirklich authentisch dahinter steht, was man lehrt. Der heilige Benedikt schrieb einmal sinngemäß: der Abt wirkt mehr durch sein Vorbild als durch seine Worte.
PHDL: Sie sprechen die Authentizität von Lehrer:innen an. Auf einer linearen Ebene bedeutet das ja die Übereinstimmung von Worten mit Taten. Aber auf einer dynamischen Ebene durchdringt man auch mit seiner Persönlichkeit den Klassenraum und kann darin seine Bedeutung verändern. Würde Sie dem zustimmen?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Ja absolut. Und diese Veränderung findet dann statt, wenn junge Menschen merken, es ist nicht nur mein Wissen gefragt. Als Rektor bin ich ja einerseits sehr leistungsorientiert und erwarte mir von Professoren, dass sie wissenschaftlich top sind. Andererseits sind mir aber Teamgeist und Präsenz genauso wichtig, sich in die Gemeinschaft einbringen zu wollen. Genauso sind Schulen keine reine Ausbildungsstätte: Schüler:innen und auch Lehrer:innen machen dabei Lernerfahrungen. Als Lehrer:in kann man durchaus einmal etwas vom eigenen Leben preisgeben, wenn es angemessen ist. Es braucht einen ehrlichen und konsistenten Austausch zwischen diesen Lebenswelten, sodass junge Menschen merken, dass sie nicht nur mit den besten Noten als Menschen etwas wert sind, sondern dass ihr Lehrer oder ihre Lehrerin sie fördern will, unbhängig davon, wo sie stehen oder herkommen.
PHDL: Als Geografielehrer in Oberösterreich durften Sie jungen Leuten vermitteln, wie wichtig es ist, die eigene Position bestimmen zu können, um die Richtung für sein Ziel zu finden. In der Bildung geht es um die Entwicklungsreise eines Menschen. Haben wir auch dafür ein Koordinatensystem?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Ja: die Liebe zu den Menschen (lächelt). Man sollte junge Menschen gerne haben und wissen, dass ich als Lehrer:in eine wichtige Bezugsperson sein kann, indem ich Perspektiven vermittle und eröffne. Gerade wird mir bewusst, wie mich mein naturwissenschaftliches Geografiestudium auch als Mönch erdet, indem es das Interesse für andere Dinge wachhält. Überzeugungen und Werte müssen im Zentrum stehen und Lehrer:innen sind überzeugender, wenn sie aus ihrer Erfahrung sprechen. Ich denke ein einziger Satz oder eine persönliche Geschichte können oft viel bewirken. Der Funke springt über, wenn ein Musiklehrer über den Stoff hinaus von seinem Konzert erzählt oder ein Geografielehrer Bilder von seiner Grönlandreise zeigt. Wissen wird ja Teil von einem selbst. Ich kann es nicht ohne mich selbst oder die Schüler:innen begreifen – das ist ein gemeinsamer Lernvorgang. Auch das Staunen ist ein Schlüssel. Wenn ich das Staunen nicht verlerne – egal was ich unterrichte – bleibe ich immer offen für Überraschungen. Die Welt ist zu komplex um sie vollständig begreifen zu können. Da muss man vieles wahrnehmen, aushalten und nicht vorschnell urteilen. Die Mönche haben zum Beispiel immer gesagt: urteile nicht vorschnell über andere und du wirst Ruhe finden. Das muss man üben.
PHDL: Würden Sie also sagen, dass nicht nur der Lehrberuf, sondern auch Glaube Übungssache ist?
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Ja klar. Glaube ohne Übung, ohne Exerzitien – das sind geistliche Übungen – wird sehr schnell flach. Und auch schwach. Das Wort Askese kommt aus dem Griechischen und bedeutet Training. Die frühen Mönche haben sich als Asketen, also eigentlich als Trainierende empfunden. Sie wollten Körper und Geist trainieren und auf Gott ausrichten. Da braucht es Fertigkeiten. Paulus spricht sogar von Athleten. Der Glaube ist keine Selbstverständlichkeit: man muss damit ringen und sich darauf einlassen. Ähnlich ist es auch mit dem Lehrberuf. Ein Lehrziel sollte sein, nicht immer nach einfachen Antworten zu suchen, weil es nicht das ist, was uns in die Tiefe führt. Wer etwas erreichen will muss investieren, egal ob als Mönch, im Sport oder im Lehrberuf. Denn zu einer guten Lebensform gehört auch eine gute Denkform. Das erfordert eine Reflexionsfähigkeit und im pädagogischen Sinne heißt das auch: die Stärken junger Menschen zu identifizieren und zu unterstützen. Ihnen muss man verschiedene Erfahrungszugänge anbieten, denn sie leben in einer Welt, in der Empathie ganz wichtig ist. Und die Begleitung junger Menschen auf ihrem Lebensweg birgt für angehende Pädagog:innen nicht nur einen hohen Sinn, sondern auch eine enorme Gratifikation für sie selbst.
PHDL: Herr Rektor, herzlichen Dank für das Interview.
Dr. Bernhard Eckerstorfer: Danke auch. Das Gespräch hat mich sehr gefreut.
Video
Das Face-to-Face-Interview in Rom wurde auch audiovisuell nachbereitet – die nachgesprochenen Aussagen wurden vom Urheber und Interviewten genehmigt und basieren auf dem transkribierten Interviewtext.
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