Fake News: Interview mit Frau Brodnig

Bildung

Fortbildungs-VA an PHDL: "Gegen die Lüge"

Ingrid Brodnig in der AULA der PHDL

Linz 27. Februar 2024.

 

Erhellend war es, als Österreichs Expertin für Fake News, Mobbing und Hass an den Linzer Salesianumweg kam, um 250 Interessierten das Thema "Falschmeldungen in der digitalen Welt" näher zu bringen. Von Journalistin und Publizistin Ingrid Brodnig konnte man erfahren auch durch persönliche Fragen welche Methoden der Täuschung dahinterstecken, wie wir diese rasch erkennen und entsprechend darauf reagieren können. 

 

5 Fragen an Ingrid Brodnig

PHDL (Thema: Fakten): „Gegen die Lüge“ zu sein, bedeutet, für die Wahrheit zu sein. In diesem Sinne muss man womöglich auch mit Applaus von der „falschen“ Seite rechnen, wo man ja mit „Fake News“ oder „Lügenpresse“ dagegen hält. Eine funktionierende Demokratie setzt gut informierte Bürger:innen und Faktentreue voraus. Aber auch Fakten werden sozial hergestellt und bedeuten „Gemachtes“. Wäre deshalb der Schluss zulässig, dass im politischen Diskurs über Fakten gestritten werden muss, weil so wie die Lüge auch die Wahrheit einen Gültigkeitsanspruch stellt?

Ingrid Brodnig: Da wäre ich vorsichtig, denn: was Fakt ist, ist gerade nicht Ansichtssache. Es ist etwa keine Ansichtssache, dass Elon Musk tot oder am Leben ist. Es gibt Fakten, dass zum Beispiel Russland in die Ukraine einmarschiert ist und einen Angriffskrieg startete. Das ist Fakt. Eine Meinungsfrage wäre: was ist die richtige Reaktion eines Landes wie Österreich? Es ist eine Streitfrage, was Staaten dann im Detail tun sollen, über so etwas muss diskutiert werden. Aber wenn ich Fakten nicht mehr anerkenne, etwa, dass Russland einen Angriffskrieg in der Ukraine startete, dann hat man es sehr schwierig. Bei sehr vielen Themen wären wir schon weiter, wenn wir uns auf Fakten einigen könnten, um dann den Bereich gesondert zu diskutieren, der eine politische Auslegungs- oder Wertungsfrage ist.


PHDL (Thema: Faktenprüfung): In den letzten zehn Jahren entstanden zahlreiche Portale wie „Correctiv“, die uns Fakten und Wahrheit anbieten. Behauptungen werden dort einer Prüfung unterzogen: ein nobler Zweck. Könnten die Bewertungskategorien in „wahr“, „falsch“ und „teilweise falsch“ für manche nicht vielleicht auch zur Politisierung von Fakten im Netz beitragen, die sie zu vermeiden versuchen?

Ingrid Brodnig: Das Wesensmerkmal eines guten Faktenchecks ist, dass in so einem Beitrag genau erklärt wird, wie man zum Ergebnis gekommen ist. Ein Beispiel für eine behauptete Falschmeldung wäre: ‚Studie XY habe dieses und jenes behauptet‘. Dann beschäftigt sich die Person mit der Studie, zitiert entscheidende Passagen der Studie, sodass man das selbst nachlesen und zum Urteil kommen kann: das ist falsch, die Studie wird irreführend interpretiert. Gerade der Faktencheck kommt bei Überprüfungen nicht umher, in ‚stimmt‘ oder ‚stimmt nicht‘ einzuteilen, weil das seine Aufgabe ist. Wir Menschen werden stark und immer wieder von Bestätigungsfehlern – also einer „Confirmation Bias“ – angetrieben. Vielleicht wollen einige bis heute nicht glauben, dass manche Menschen an Corona sterben können oder dass es einen menschengemachten Klimawandel gibt. Der Faktencheck liefert auch unbequeme Wahrheiten. Es stimmt natürlich, dass manche Themen dann sehr politisch erscheinen, aber ein guter Faktencheck zeichnet sich durch transparente Quellenangaben und Urteilsbegründungen aus. Die Lösung kann nicht sein, unbequeme Themen nicht mehr anzusprechen und sie zu erklären – zumindest für jene, die das hören wollen.


PHDL (Thema: Wahrheitsgebiete): In den Tiefen des Netzes blüht jede Menge Unsinn. Menschen brauchen eine Orientierung und wenn ihnen jemand die Wahrheit anbietet, hat das eine Anziehungskraft. Aber welche Zahlen, Bilder oder Personen auftreten, ist selektiv. Außerdem: Was heute falsch ist, kann sich morgen als richtig erweisen – und umgekehrt, weil es vielleicht später kommt, unzugänglich oder woanders ist. Die bedeutungsgebende Instanz ist der Mensch. Denken Sie hat die Wahrheit im Netz oft auch eine rhetorische Funktion im sozialen Tauziehen?

Ingrid Brodnig: Tatsächlich ist immer Vorsicht angebracht, wenn eine Seite DIE Wahrheit verkündet. Persönlich mag ich das Wort „Wahrheit“ nur in einem engen Fokus, ob etwa eine Aussage eines Politikers im Fernsehen gesagt wurde oder nicht: das lässt sich überprüfen. Das Problem ist, dass gerade fragwürdige Kanäle DIE große Wahrheit im Internet anbieten, die angeblich verborgen wird. Da geht’s oft gar nicht um die Überprüfung von Wahr oder Falsch, sondern um Wunschvorstellungen, also was Menschen gerne für wahr empfinden würden. Wenn ich hier noch Philip K. Dick zitieren darf: ‚Die Realität ist das, was nicht verschwindet, wenn man aufhört, daran zu glauben.‘


PHDL (Thema: Wissenschaft): Aus der Unübersichtlichkeit von Meinungen artikuliert sich in den Medien geradezu ein dramatisches Bedürfnis nach Eindeutigkeit. Im Ringen um Wahrheit zieht dann jemand ein Ass aus dem Ärmel und sagt: „Wir folgen der Wissenschaft.“ Man zitiert ein paar wissenschaftliche Studien, dann ist Ruh! Aber Wissenschaft ist Wahrheitssuche, kein Wahrheitsfinden. Und wer sich auf sie beruft, sollte akkurat sein. Wie lässt es sich vermeiden, dass der Gebrauch von wissenschaftsbasierter Meinung sowohl auf Social Media als auch in Leitmedien nicht zu einem Behauptungsdespotismus mutiert?

Ingrid Brodnig: Der Ansatz ‚…das sagt DIE Wissenschaft‘ ist wahrscheinlich immer zu breit. Bei manchen Fragen gibt es einen Fachkonsens. Hoch ist der Fachkonsens in der Klimaforschung, dass die Erde heißer wird, es also einen Klimawandel gibt, den der Mensch mit den Treibhausgasen verursacht hat. In der Medizin gibt es einen hohen Fachkonsens, dass die empfohlenen Impfungen eine sinnvolle Sache sind. Die Gefahr ist generell, dass Studien nur halb gelesen oder falsch wiedergegeben werden. Manche Menschen mögen auf den ersten Blick wissenschaftlich fundiert klingen, obwohl sie eigentlich den Fachkontext nicht kennen. ‚Technobabble‘ ist etwa so eine Methode, bei der man wissenschaftliche Begriffe in einem falschen Kontext verwendet. Wissenschaftsjournalist:innen machen sich deshalb die Arbeit, sich einen Überblick zu erarbeiten, ob es einen Fachkonsens gibt oder in welche Richtung die vorliegenden Daten derzeit deuten. Das anzuerkennen ist denke ich wichtig, also diesen generellen Wert von Expertise ernstzunehmen.


PHDL (Thema: Bildung): In der Kommunikationswissenschaft meint „Reaktanz“ ein abwehrendes Verhalten gesellschaftlicher Gruppen, provoziert durch Fehlkommunikation. Wenn etwa durch Diskreditierung oder Nichtverständnis eines bestimmten gesellschaftlichen Lagers die Zahl der Trotzigen zu groß wird, ergibt sich eine potenziell gefährliche Situation für unsere Demokratie. Welchen Beitrag kann Bildung dazu leisten, auch einen verbindenden Umgang mit Menschen zu finden, die Falschnachrichten verbreiten?

Ingrid Brodnig: In manchen Fällen kann es sinnvoll sein, mal die konkrete Falschmeldung, die eine Person für wahr empfindet, beiseite zu lassen. Man kann nämlich auch wiederkehrende Tricks erklären, mit denen Falschnachrichten verbreitet werden. Es gibt etwa die Methode der ‚Fake Experts‘: also Personen, die gar nicht auf einem Fachgebiet forschen, aber eine klare Meinung dazu haben. Häufig wird ja nicht hinterfragt, ob diese Person für die konkrete Fachfrage wirklich Expertise hat. Kennen die Menschen einmal diese Mechanismen, wie falsche Behauptungen als kluge Aussagen getarnt werden, tun sie sich auch bei anderen Themenfeldern leichter, das zu erkennen. In der Bildung kann also oft ein Umweg hilfreich sein, dass ich nicht zuerst in die komplexesten oder umkämpftesten Themen hinein gehe, sondern dorthin, wo es mehr Fachkonsens gibt, um einmal solche Mechanismen zu erklären. Dann steigt auch die Chance, dass man auch bei komplizierteren Themengebieten diese Mechanismen erkennt. Zum anderen muss man dem Bürger oder der Bürgerin auch die Chance geben, zurück ins Gespräch zu kommen, wenn die Person zu erkennen beginnt, dass sie vielleicht über einen längeren Zeitraum eine Falschmeldung vertreten oder geglaubt hat. Dass sie also gesichtswahrend herauskommen kann und das Gefühl hat, zugeben zu können, ‚stimmt, macht eigentlich keinen Sinn‘, ohne dass es aber zu einem großen Stigma wird. Die Schwierigkeit ist ja, dass wir häufig wollen, dass die andere Person zugibt, dass sie falsch gelegen ist. Damit macht man es der Person quasi unmöglich, umzuschwenkenken.


 

Organisation

Leiterin der Fortbildungsveranstaltung:
Mag. Eva-Maria Gattringer

Institutsleiterin Fortbildung:
Mag. Chrstine Mitterweissacher

PHDL-Vizerektorin:
Dr. Gabriele Zehetner